Creator Economy starten – mit 1000 True Fans (Kevin Kelly)

Transkript der Episode 19 von Frag Wolfram, dem Online Business Podcast mit Wolfram Kläger vom 20.06.2023

Kevin Kelly ahnte 2008 den Trend voraus. Die Creator Economy geht steil. Wie viele True Fans braucht es heute?


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Haiyti hatte 2018 schon 100.000 Fans

Kannst du dich erinnern, wie lange es her ist, dass Kinder später mal Lokomotivführer werden wollten?

Gegendert wurde damals nicht. Deswegen fallen die Lokomotivführerinnen schon mal weg.

Aber egal!

Ich konnte das damals so oder so schon nicht glauben.

Mein frühester Berufswunsch war – wenn ich mich recht erinnere – Privatdetektiv.

Details dazu sind mir gottseidank entfallen.

Jedenfalls lese ich heutzutage immer wieder, dass viele viele Kids auf solche Ideen schon gar nicht mehr kommen.

Laut einer Umfrage, die SignalFire erwähnt, Link in den Show Notes, ist es in den USA aktuell so:

  • 29 % der Kinder wollen später mal YouTuber:in werden
  • Nur 11 %, im Vergleich nur ein Drittel so viele: Astronaut:in

Und ich wette, wenn jemand nachfragt, kommen noch jede Menge kleine Instagram-Influencer:innen und Tiktok-Spassvögel in spe dazu.

Wo soll das noch hinführen?

Und wo kommt es her?

Ein, zwei Ideen dazu hätte ich heute hier im Podcast-Angebot:

1000 True Fans

2008 schrieb Kevin Kelly, der Mitbegründer des Wired Magazins, einen einflussreichen Artikel mit dem Titel "1000 True Fans". Bekannt wurde die Idee unter anderem durch Tim Ferriss, im Buch "Tools of Titans".

Kelly argumentierte, dass es gar nicht Millionen an Kundschaft oder Publikum braucht, um mit Kreativität seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Schon ungefähr 1000 echte Fans würden vollkommen genügen.

Dieses Konzept hat die Art und Weise verändert, wie Kreative über Karriere nachdenken. Es hat gezeigt, dass es in der digitalen Welt nicht nur um den Massenmarkt und den Mainstream geht. Die Bestseller, Top-, Mega- und Gigastars. Es funktioniert genauso oder sogar viel besser, wenn du dir eine kleine Fan Community aufbaust, die dein leidenschaftliches Engagement und deine kreative Arbeit wertschätzt und unterstützt.

Was steht in dem Artikel genau und was davon gilt bis heute?

Kreative vermarkten sich selbst

Ein echter Fan ist ein Fan, der alles kauft, was ein Creator / eine Creatorin produziert.

Als Beispiele für solche kreativen Berufe nennt Kelly unter anderem

  • Handwerker:innen
  • Fotograf:innen
  • Musiker:innen
  • Designer:innen
  • Autor:innen
  • App-Entwickler:innen und
  • Erfinder:innen.

Heute zählen dazu vor allem auch

  • Berater:innen
  • Trainer:innen
  • Lehrer:innen und
  • Coaches

Sagen wir: Aus- und Weiterbildung für alle Lebenslagen.

Vor allem auch in beruflicher und unternehmerischer Hinsicht.

Oft sind es Solopreneur:innen, die andere Solopreneur:innen weiterbringen, wie hier im Podcast in der letzten Episode besprochen.

Die Grundidee ist so simpel wie überzeugend.

Wenn es dir als Creator / Creatorin gelingt, im Durchschnitt 100 Dollar Gewinn zu erwirtschaften, pro Fan und Jahr, und du schaffst es mindestens 1.000 solcher Fans für dich zu begeistern, dann erzielst du ein Jahreseinkommen von 100.000 Dollar.

Wenn du Steuern, Versicherungen, Werbeausgaben, Betriebskosten usw. einkalkulierst, ändert sich deine Excel-Tabelle oder dein Google Sheet natürlich entsprechend.

Aber das sind schon wieder Details.

Wichtig ist Kelly vor allem, dass du als Creator / Creatorin eine direkte Beziehung zu deiner Kundschaft / deinem Publikum hast.

Je weniger Beteiligte, desto höher ist die Marge.

Das Internet ist für solche Geschäftsmodelle die ziemlich perfekte Plattform. Das hat sich 2008 schon abgezeichnet und ist heute – 2023 – unübersehbar geworden.

Es gibt Tools und Dienste, Kurse und Coachings ohne Ende.

Das macht es so leicht wie noch nie, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und weltweit zu vermarkten.

Long Tail Nischen

Das Internet hat vor allem auch den "Long Tail" attraktiv gemacht. Das ist der Oberbegriff für alle kleinen und kleinsten Nischen im Markt. Die früher, analog und offline, kaum bedient werden konnten. Weil sie gar nicht bekannt waren oder so breit gestreut, dass die Zielgruppe wirtschaftlich nicht erreichbar war.

Heute können auch die obskursten Bedürfnisse und Wünsche problemlos erkannt und bedient werden.

Die seltenste Ausnahmeerscheinung ist schliesslich auch nur einen Klick entfernt, von den absoluten Megatrends und Bestsellern.

Kevin Kelly war schon 2008 klar:

  • Es gibt nichts – kein Produkt, keine Idee, keinen Wunsch, für was sich im Internet keine Fans finden lassen.
  • Alles, was irgendwo gemacht, gesagt, gemalt, gesungen, getanzt oder geschrieben wird, dürfte – global gesehen – noch mindestens eine weitere Person auch brennend interessieren.
  • Selbst wenn das nur eine einzige Person unter einer Million ist, kommt rein rechnerisch ganz schnell eine "Community" von an die 8.000 Gleichgesinnten zusammen.

Der Trick dabei ist:

  • Wie machst du auf dich aufmerksam?
  • Wie stellst du es an, dass dich deine potenziellen Fans finden?

Übrigens: Das Konzept von Kevin Kelly ist nicht exklusiv.

Es spricht nichts dagegen, zweigleisig zu fahren.

Viele Kreative machen das längst vor, nutzen beide Einkommensquellen parallel:

  • Vermarkten sich einerseits weiter über den etablierten Mainstream, also Vermittler wie Verlage, Labels, Händler, Makler, Manager, Agenturen usw.
  • Und pflegen auf der anderen Seite auch ihre direkten Geschäftsbeziehungen zu ihren Superfans (und den "normalen" Fans, die sich vielleicht noch zu "Superfans" entwickeln).

Gig Economy vs. Creator Economy

Ungefähr zeitgleich zu Kellys Artikel hat sich der Begriff der Gig Economy etabliert. Für mehr und mehr Jobs, die nur noch pro Auftritt bezahlt werden, statt über einen regulären Arbeitsvertrag. Als Prototyp dafür wird immer der Uber-Fahrer / die Uber-Fahrerin genannt.

Das hat offensichtlich wenig gemeinsam mit der Creator Economy, die von Unternehmer:innen geprägt wird, die ihre eigenen Produkte und Dienstleistungen vermarkten.

Zwischendurch ist immer mal wieder auch von der Passion Economy die Rede. Aber dieses Etikett scheint sich nicht so recht durchzusetzen. Ich kann es jedenfalls nicht sinnvoll abgrenzen.

Mit der Creator Economy sind jedenfalls all die Millionen Menschen gemeint, weltweit, die

  • digitale Inhalte produzieren
  • ihre Produkte auf diversen Internet-Plattformen vertreiben
  • und auch über das Internet bewerben, via SEO und Social Media

Eine viel zitierte Studie von SignalFire zählt aktuell über 50 Millionen solcher Content Creators.

Und die monetarisieren ihre Leistung auf den unterschiedlichsten Wegen, z.B. über

  • Sponsoring
  • Werbeeinnahmen
  • Abonnements (Subscriptions)
  • Direktverkäufe und
  • Crowdfunding (z.B. Patreon, Kickstarter)

Bis vor Kurzem hätte ich hier auch noch NFTs aufgelistet. Das dürfte sich vorerst erledigt haben. Aber wer weiss …

100 Fans mit High Ticket

2020 hat Li Jin von Andreessen Horowitz den Artikel von Kevin Kelly noch einmal ganz genau gelesen und einen Update veröffentlicht, mit dem Titel

"1,000 True Fans? Try 100"

Auf Deutsch: Versuch es mit 100!

Denn heute sei es viel einfacher als noch vor 15 oder 10 Jahren, nicht nur 100 Dollar jährlich zu verdienen, an jedem Superfan, sondern 1.000 Dollar und mehr.

Als Beleg dafür zitiert Lil Jin z.B. Patreon-Zahlen mit 21 % mehr Abonnements im Wert von mindestens 100 Dollar pro Monat.

Das erweiterte Modell stellt sie als Pyramide dar in 3 Stufen:

  • Stufe 1 – die kostenlose Zone: das breite Publikum, angesprochen per Social Media und E-Mail-Abos (Newsletters)
  • Stufe 2 – Spender:innen und Gönner:innen: wahre Fans also, die ihre Wertschätzung für den Creator / die Creatorin durch einmalige oder regelmässige Spenden zum Ausdruck bringen
  • Stufe 3 – High Tickets & exklusiver Zugang: wahre Superfans, die bereit sind, viel Geld auszugeben, um dafür wirklich alles zu bekommen, was der Creator / die Creatorin herausbringt

Sie belegt das mit Coaches und Onlinekursen, die im Durchschnitt zwischen 1.400 und 2.300 Dollar jährlich einbringen.

1000 Fans vs. 100 Fans

Klar ist, wer mit 100 Fans dasselbe Jahreseinkommen erzielen will, wie jemand anderes mit 1000 Fans, der muss die Preise verzehnfachen. Und wer die Preise verzehnfacht, muss mit der gebotenen Leistung mithalten.

Li Jin geht noch einen Schritt weiter.

  • Die 1000 Fans wollen v.a. unterstützen, ein Teil der Community sein.
  • Die 100 Fans haben darüber hinaus auch ein ausgeprägtes Eigeninteresse.

Sie verlangen einen exklusiven, sozialen Status, eine konkrete Problemlösung und Transformation, persönlich oder beruflich, einen Return für ihr Investment.

1000 Dollar pro Fan

Li Jin nennt als die wichtigsten Zutaten, um als Creator:in mindestens 1.000 Dollar pro Fan und Jahr zu verdienen:

  1. Erstklassige Inhalte
  2. Eine attraktive Community, für die es keinen nahen Ersatz gibt
  3. Greifbare, wertvolle Ergebnisse
  4. Rechenschaftspflicht
  5. Anerkennung und Status

Sind wir schon am Limit?

Wenn Ideen, Chancen, Sehnsüchte, Träume ins Kraut schiessen, sind die Bedenken, die Warnungen, die Kritiker:innen nicht weit.

Exemplarisch greife ich den Artikel von Barbara Engels heraus, Senior Economist für nachhaltige Digitalisierung am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Erschienen recht aktuell, Ende 2022. Sie stellt fest:

Die Creator Economy boomt: Die Möglichkeiten, mit digitalem Content wie Podcasts, Blogs, Videos, Fotos und Webinaren Geld zu verdienen, nehmen zu. … Doch es gibt eine Grenze für das Wachstum: Die Aufmerksamkeit der Menschen ist limitiert. Berechnungen zeigen, dass der Markt bereits gesättigt ist.

Barbara Engels, IW

Auch Barbara Engels zitiert die SignalFire-Studie aus 2020, die weltweit von folgenden Zahlen ausgeht:

  • rund 2 Mio. Vollzeit-Creators
  • plus rund 47 Mio. Teilzeit-Creators

Wobei ausdrücklich kein Unterschied gemacht wird zwischen Kreativen mit eigenen Produkten und den sogenannten Influencer:innen. Die sich per Social Media ja hauptsächlich darauf konzentrieren, Marken und Produkte von Dritten im digitalen Licht strahlen zu lassen.

Sprich: Werbung machen.

Leider macht die Autorin in ihren weiteren Ausführungen und Rechenschritten eben diesen Unterschied nicht mehr, um ihre These zu untermauern, vom zeitlichen und kognitiven Limit für das, was sie Creator Economy nennt:

  • Wie viele Influencer:innen erträgt ein Mensch?
  • Wie vielen Kontakten kann man überhaupt folgen?

Ich stimme ihr 100 % zu. Was den reinen Influencer-Markt anbelangt.

Ohne jede eigene Berechnung glaube ich sofort, dass hier das Mass längst voll ist. Vielleicht sind wir auch schon drüber. Wie auf allen anderen Werbekanälen auch.

Für den echten Creator-Teil glaube ich der Autorin dagegen kein Wort.

Vielleicht mache ich mal eine eigene Podcast-Episode über

  • die Unendlichkeit der menschlichen Bedürfnisse
  • die Uferlosigkeit erst recht des digitalen Marktes

Von der Globalisierung ganz zu schweigen. Die dank des Internets einfach nicht mehr zu stoppen ist.

Und jetzt noch all die künstliche Sprachintelligenz oben drauf!

Ich fürchte, um diese Limits auszuloten, braucht es noch ein paar Studien mehr und ganz andere, ganz viele Excel-Tabellen.

Für heute lasse ich das aber mal einfach weg 🙂

Dafür noch kurz zur neuesten Idee von Kevin Kelly:

Was ist Aufmerksamkeit wert

Im a16z-Podcast von Andreessen Horowitz gab Kevin Kelly 2020 ein Interview. In dem er noch einmal Bezug nimmt, auf seine gute alte 1000 True Fans Idee aus 2008. Auch auf sein hochgelobtes Buch von 2017, The Inevitable. In dem er beschreibt, wohin sich der weitere technische Fortschritt unvermeidlich entwickeln wird, seiner Meinung nach.

Und noch einen drauf setzt, mit der Frage:

Warum bezahlt eigentlich niemand das Publikum für seine Aufmerksamkeit?

Stattdessen sind wir es durch und durch gewohnt, das Publikum bezahlen zu lassen, für die Inhalte, die es konsumiert.

Wie wäre es, wir drehen das um?

  • Musiker:innen bezahlen ihr Publikum
  • Autor:innen bezahlen ihre Leser:innen
  • Coaches bezahlen ihre Coachees
  • usw. usw.

Vorausgesetzt, das Publikum konsumiert das Stück Content von Anfang bis Ende. Sonst zahlt der Creator / die Creatorin nichts, oder deutlich weniger.

Ähem.

Ich muss zugeben. Ich spüre den intellektuellen Reiz. Lass uns doch einfach mal alles ganz anders machen.

Auf der anderen Seite: Wie ich es auch drehe und wende.

Was wären die Vorteile, für beide Seiten?

  • Sind dann alle Inhalte vollständig werbefinanziert oder wovon sollen Creator:innen ihr Publikum bezahlen?
  • Und macht es das Publikum dann weitgehend arbeitslos, weil es schon mit dem Konsum genug Geld verdient?

Ich fürchte, dazu ist noch eine ganze Menge zu forschen, bis diese Idee realistische Chancen hat, umgesetzt zu werden, auf breiter Front.

Fazit für heute

Es gibt sie noch.

Die guten Blogposts.

Mit einer Halbwertszeit über den Tag hinaus.

"1000 True Fans" von Kevin Kelly hat sich jedenfalls seit 15 Jahren gut gehalten. Und es ist kein Ende abzusehen.

Die Creator Economy boomt.

Sagt sogar das Institut für deutsche Wirtschaft.

Allenfalls die Influencer:innen müssen allmählich aufpassen, dass sie noch jemanden erwischen, der Zeit genug hat, und dann auch gerade den Kopf für sie frei hat, vor lauter Influences.

Mit der berüchtigten Gig Economy hat das alles wenig gemein.

Schon eher mit leidenschaftlichem Unternehmertum und einer perfektionierten Selbstvermarktung.

Dafür finden sich am Long-Tail des Marktes immer wieder neue Nischen und Sub-Nischen. Da ist noch viel Platz für noch viel individuellere und noch viel spezifischere, massgeschneiderte Angebote.

Vielleicht ist eines Tages sogar die Zeit reif für eine von Kevin Kellys neuesten Ideen. Dass die Anbieter:innen die Nachfragenden bezahlen, statt umgekehrt.

Wir werden sehen.

Bis nächsten Montag

Du könntest die Zwischenzeit nutzen, um deine Frage an Wolfram in eine E-Mail zu packen.

Die Adresse lautet:

fragwolfram@wolframklaeger.com

Wenn du es jetzt nicht tust, musst du tatenlos warten. Eine ganze Woche. Bis hier die nächste Episode an den Start geht, Frag Wolfram, Episode 20.

Bis dahin alle Grüsse

Ciao Ciao

Dein Wolfram

Und: Peace!